Hermann SCHLÖSSER (Wien)

H. C. Artmann im Spiegel des bundesrepublikanischen Feuilletons der 1960er Jahre

 

Die zweite Hälfte der sechziger Jahre, die H. C. Artmann weitgehend in Berlin verbrachte, war auch die Phase, in der er vom bundesdeutschen Feuilleton deutlicher wahrgenommen wurde als in den Jahren davor. In meinem Beitrag möchte ich darstellen, in welche Kontexte Artmann von der Literaturkritik gestellt und wie sein Werk dabei verstanden (oder missverstanden?) wurde. Vorwegnehmend lassen sich drei Themenkomplexe benennen, die im Vortrag genauer beleuchtet werden sollen:

  1. Artmann wurde als Pop-Autor gesehen, der sich mit Dracula, Tom Shark etc. befasste und dadurch einer vergleichbaren neuesten deutschen Tendenz zu entsprechen schien.
  2. Artmann wurde als österreichischer Exzentriker goutiert, der sich im deutschen Kulturbetrieb als bizarres „Original“ behaupten konnte (also „Duascht und Dracula“, wie „Der Spiegel“ 1966 einen Artikel über Artmann betitelte).
  3. Artmann, der Sprachspieler und Stilpluralist, wurde an die Seite der avancierten experimentellen Literatur gestellt und gewürdigt – wobei zu beobachten ist, dass es diesbezüglich nicht nur lobende, sondern auch kritische Töne gab. Insbesondere wurde ihm mehrmals ein Mangel an reflexiver Ernsthaftigkeit vorgehalten – was sich freilich wieder mit dem Image vertrug, das sich aus den Punkten 1 und 2 ergab.

Artmann wurde durch Performances und Lesungen in Berlin und anderswo, aber auch durch die in rascher Folge bei Suhrkamp erscheinenden Bücher zwischen 1966 und 1970 zum prominentesten Mitglied der Wiener Gruppe in der Bundesrepublik. Mein Beitrag soll zeigen, dass sich dieser Prozess des Namhaftwerdens im Feuilleton nicht nur spiegelte, sondern durch die entsprechende Berichterstattung auch wesentlich gefördert wurde.

 

 

Hermann Schlösser, Dr. phil., geboren 1953, war von 1997 bis 2017 Kulturredakteur bei der Wiener Zeitung (Beilage „extra“). Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, u. a.: Wien – Berlin. Mit einem Dossier zu Stefan Großmann (hg. mit Bernhard Fetz, Wien 2001), Die Wiener in Berlin. Ein Künstlermilieu der 20er Jahre (Wien 2011), „Ausgedeutet und Ausgepfiffen. Kontroversen um Elfriede Jelinek und ihren Roman Die Kinder der Toten.“ (In: Klaus Kastberger u. Stefan Maurer, Hg. Heimat und Horror bei Elfriede Jelinek; Wien 2019).